Begegnungen zwischen Ost und West

Mindestens so interessant wie Vietnamesen für uns sind wir für sie. Bewegt man sich als Europäer in Hanoi, bleibt das fast nie unbemerkt. 

Selbst in den eher touristischen Straßenzügen in der Innenstadt wird man von einer Gruppe junger Männer im Vorbeigehen mit einem lautstarken „Hello“ begrüßt. Kaum ein Tag, an dem ich nicht nach meiner Herkunft gefragt wurde, sei es morgens beim Bestellen eines Kaffees, sei es im Bus von jungen Leuten auf dem Nebensitz. Nicht selten folgen darauf weitere Fragen danach, wie lange man in Vietnam bleiben wird, was man dort tun will und, besonders populär, die Frage nach dem Alter. Bei uns eine grobe Beleidigung, wird diese Frage hier ganz selbstverständlich auch an Frauen gerichtet, häufig direkt nach der Begrüßung. In der Regel erhält man dann ein Kompliment über sein verhältnismäßig jugendliches Aussehen. Gerade junge Frauen zeigen sich sehr fasziniert und so wurde ich wohl noch nie so häufig um ein gemeinsames Foto gebeten wie in den vergangenen vier Wochen. Betritt man ein Modegeschäft, findet man sich bisweilen umzingelt von mehreren Mitarbeiterinnen, die sich um ein Gespräch bemühen. Gespräche dieser Art sind so sehr Teil des Alltags, dass man sie mit der Zeit nicht mehr als bemerkenswert einstuft. Doch auch nach einigen Wochen kann man noch überrascht werden, insbesondere in den Vierteln außerhalb der Innenstadt, in denen man keine Touristen antrifft. Dass meine Nase für fremde Menschen ein Faszinosum darstellen kann, war mir neu. Eine ältere Frau an einem Markstand berührte meine Nasenspitze wiederholt, um dann angesichts der Länge in hemmungsloses Kichern auszubrechen. Besonders schön auch die Einladung eines alten Mannes in einem Tempel am Rand von Hanoi. Nachdem wir ihn um ein Foto gebeten hatten, schenkte er uns wortlos eine Tasse Tee ein, den wir in einvernehmlichem Schweigen mit ihm tranken. Dieser kommunikative Grundzug der meisten Menschen mag wohl ein Grund dafür sein, dass hier jegliches Gefühl von Einsamkeit sehr schnell verschwindet. Wo in Europa wird man schon um ein spontanes Fotoshooting in einem Modegeschäft gebeten und erhält zum Dank noch ein Kleid geschenkt?